Interview der Züricher Zeitung mit Sarah Wagenknecht

«Die Spitäler sind nicht wegen der Ungeimpften voll – die Politik will bloss von ihrem eigenen Versagen ablenken»

Ist sie eine der Letzten, die aussprechen, was viele denken? Oder erzählt sie bloss Räuberpistolen? Klar ist: Sahra Wagenknecht polarisiert wie nur wenige andere. Ein Gespräch über selbstgerechte Linke, vergiftete Debatten – und sie sagt, warum sie sich nicht impfen lässt.

[...} «Es werden Diskussionen geführt, die völlig an den Lebensnöten der Menschen vorbeigehen», sagt die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht. Wer aus einer Arbeiterfamilie komme, habe heute kaum noch Aufstiegschancen. Stattdessen würden Leute moralisch verachtet, die andere Probleme als das Klima hätten.

Wagenknecht mischt seit Jahrzehnten in der deutschen Politik mit. Sie ist promovierte Ökonomin, Publizistin sowie Mitglied des Deutschen Bundestags – und eckt seit je an. So gleichen ihre Argumente manchmal jenen von Rechtspopulisten, in der Corona-Debatte streitet sie sich öffentlich mit den bekanntesten Virologen des Landes, und selbst innerhalb der Linken sorgt sie immer wieder für rote Köpfe. In der jüngsten Sendung von «NZZ Standpunkte» mit dem Chefredaktor Eric Gujer nimmt Wagenknecht ebenfalls kein Blatt vor den Mund. Sie spricht über Erpressung, volle Spitäler und kritisiert die deutsche Impfpolitik.

Es sei völlig unangemessen, die Impfung zu einer moralischen Debatte aufzublasen, sagt Wagenknecht, die selbst nicht geimpft ist. Schließlich gebe es aus gutem Grund keine Impfpflicht. Doch wenn man dieses Recht in Anspruch nehme, werde man nun als «böser Mensch» hingestellt. «Dabei ist es doch so: Wer sich impfen lässt, schützt sich in erster Linie selbst.» Denn noch immer gebe es keine Impfung, die tatsächlich verhindere, dass man das Virus weiter übertrage.

«Die Spitäler sind nicht wegen der Ungeimpften voll», sagt Wagenknecht. «Die Politik will bloss von ihrem Versagen ablenken.» Die Ursache für die massive Belastung der Krankenhäuser liege woanders: Seit Jahren herrsche ein Pflegenotstand in Deutschland. «Zuerst wurden Stellen abgebaut, dann die Löhne gedrückt und schließlich die Intensivbetten massiv reduziert!»

Doch statt darüber zu sprechen, würden nun die Ungeimpften zum Sündenbock gemacht. Das sei eine ganz üble und vergiftete Debatte. «Es ist eine Schande, wenn nun behauptet wird, dass Menschen mit einem Herzinfarkt nicht mehr behandelt werden könnten, weil die Intensivbetten voll mit Covid-Patienten seien.» Probleme habe man nur, weil zu wenig Betten vorhanden seien. «Wenn wir kranke Menschen nicht mehr behandeln können, ist das ein Armutszeugnis», sagt die 52-Jährige.

Ähnlich kritisch sieht Wagenknecht, dass Corona-Tests selbst bezahlt werden müssen, wenn Ungeimpfte in ein Restaurant gehen oder eine Vorlesung der Universität besuchen wollen. «Das kostet viel Geld, gerade für junge Menschen.» Im schlimmsten Fall müssten manche sogar das Studium abbrechen, wenn sie keine Impfung wollten. «Das ist schlicht finanzielle Erpressung.» [...]