Marco Politi im Gespräch mit Rainer Brandes | 28.09.2012

Rainer Brandes: Herr Politi, sind diese beiden jetzt angeklagten Personen wirklich die einzigen Beteiligten an den Enthüllungen oder gibt es weitere Hintermänner dieser Vatileaks-Affäre?

Marco Politi: Also, niemand in Rom glaubt, dass Paolo Gabriele der einzige ist oder auch dieser Informationstechniker, also dass es nur diese zwei Personen sind. Es ist ja sehr komisch, dass in dem Urteil von dem Untersuchungsrichter gewisse Zeugen einfach nur mit ABCXY benannt sind. Das gibt es in einem normalen Rechtssystem nicht. Und schon aus diesen Zeugnissen sieht man, dass es Leute gab, die Briefumschläge an Paolo Gabriele gaben und dass auch Paolo Gabriele mit gewissen Leuten in Kontakt war und dass er auch seltsamerweise einen Beichtvater hatte, der Dokumente aufbewahrte. Obwohl er dann später gesagt hat, dass er diese Dokumente verbrannt hat. Das Ganze ist in einer Situation gewachsen, in der es in der Kurie ein Unbehagen gibt – über die Führung des Staatssekretärs. Denn die wichtigsten Dokumente sind alles Dokumente, die ein schlechtes Licht auf die Führung des Staatssekretärs senden.

Brandes: Wenn es also diese weiteren Hintermänner gibt, hat der Vatikan denn überhaupt ein Interesse an einer vollständigen Aufklärung?

Politi: Also, in Rom glaubt man, dass der Vatikan keine Lust hat, dieses Problem noch zu verbreiten. Dann auch die Bilanz der Untersuchung von der Kardinalskommission, die Papst Benedikt eingesetzt hat, die mehrere Monate gearbeitet hat und mehr als 20 Leute auch gerufen hat und mit denen gesprochen hat, die Bilanz und die Resultate sind nicht an die Öffentlichkeit gegeben worden. Man hat den Eindruck, dass der Vatikan einen schnellen Prozess machen will, dass dann der Kammerdiener sehr streng verurteilt wird und dass dann die Gnade vom Papst kommen wird.

Brandes: Wenn wir uns die möglichen Opfer dieser Affäre angucken, da wird immer wieder ein Name genannt: Tarcisio Bertone, der Kardinalstaatssekretär, den Sie eben auch schon erwähnt haben, also quasi der Regierungschef des Vatikans. Wer hat ein Interesse an seiner Schwächung?

Politi: Ja, das Problem ist, dass schon am Anfang, als ihn Papst Benedikt gerufen hat, war ein großer Teil der Kurie gegen ihn. Nicht aus persönlichen Gründen, sondern weil er keine diplomatische Erfahrung hatte, keine administrative Erfahrung hatte. Er kennt nicht die Maschine des Vatikans. Und einerseits ist er auch persönlich eine sehr freundliche Persönlichkeit. Aber einerseits ist er zu absolutistisch in seiner Regierung und andererseits ist aber nicht genügend effizient. Denn die Probleme, die mit Vatileaks herausgekommen sind, also Transparenz in der Vatikanischen Bank ja oder Transparenz nein, gibt es nun Korruption in den Bauarbeiten im Vatikan oder nicht, da hat sich der Kardinalstaatssekretär immer nicht sehr geschickt benommen. Und die Leute, die eben mehr Transparenz wollten, sind dann weggejagt worden von ihren Posten, wie der Direktor von der Vatikanischen Bank Gotti Tedeschi und auch wie Monsignore Viganò, der Sekretär der Gouvernatorats des Vatikans.

Brandes: Mit der Vatikan-Bank haben Sie schon einen wesentlichen politischen Punkt hinter dieser Affäre angesprochen. Seit Jahrzehnten gilt die als völlig intransparent, die Mafia nutzte sie zur Geldwäsche. Und Papst Benedikt der XVI. wollte das eigentlich ändern, hat ja auch eine Finanzaufsichtsbehörde gegründet. Die Reform ist dann aber stecken geblieben. Sagen die jetzt veröffentlichten Geheimdokumente irgendetwas darüber aus, warum diese Reform steckengeblieben ist?

Politi: Nein, die Dokumente zeigen ganz klar den Konflikt zwischen den Kardinälen in der Kurie, die für völlige Transparenz waren – wie zum Beispiel Kardinal Nicora, der Präsident der neuen Finanzinformationsbehörde. Und Kardinalstaatssekretär Bertone, der Angst hatte, dass die völlige Transparenz auch alte Geschichten ans Licht bringt, die für den Vatikan sehr unbequem wären. Also, die Dokumente helfen der öffentlichen Meinung ganz klar, die Fronten zu sehen. Man kann nur sich ausdenken, eben, dass die Bremse von Kardinalstaatssekretär Bertone aus Angstgründen gezogen worden war.

Brandes: Wenn man sich das alles so anschaut, hat man den Eindruck, dass Papst Benedikt seinen Laden vielleicht nicht richtig im Griff hat. Georg Gänswein, sein Privatsekretär hat mal über den Papst geschrieben, Benedikt XVI. sei eigentlich gar kein Politiker. Aber funktioniert das, kann man Papst sein, ohne auch Politiker zu sein?

Politi: Ja, das ist das Problem. Monsignore Gänswein hatte auch gesagt, dass der Papst kein Programm hat, denn sein Programm ist ja, die Botschaft Christi zu verkünden. Aber man kann nicht nur intellektueller Theologe und Prediger sein, wenn man an der Spitze einer Organisation von mehr als einer Milliarde Gläubigen ist. Wenn man so eine Organisation hat – und strukturierte Organisation – wie die katholische Kirche, muss man auch regieren können, muss auch Leader sein. Und wenn man nicht das Temperament hat, muss man sich als Papst wenigstens einen Mitarbeiter als Staatssekretär aussuchen, der eben eine Regierungserfahrung hat. Das ist in diesem Fall nicht passiert.

Brandes: Morgen beginnt jetzt der Prozess und er wird zumindest ansatzweise öffentlich sein, auch wenn nur acht unabhängige Journalisten zugelassen sind – angeblich aus Platzmangel im Gerichtssaal. Aber trotzdem: Wird sich durch diesen Prozess und die öffentliche Aufmerksamkeit auf diesen Prozess irgendetwas an der Regierungsweise des Papstes ändern?

Politi: Ja, Kardinal Woelki aus Berlin hat gesagt, Korruption oder undurchsichtige Sachen sollen in der katholischen Kirche nicht passieren. Und Kardinal Vingt-Trois aus Paris hat gesagt, es wäre kein Geheimnis, dass Staatssekretär Kardinal Bertone jetzt, wo er 78 Jahre alt wird, weggehen könnte. Die öffentliche Meinung ist jetzt konzentriert, einerseits, besser zu verstehen, was ist da um den Kammerdiener passiert. Und zweitens: Wird jetzt im Dezember der Staatssekretär ersetzt oder nicht. Benedikt XVI. im Großen und Ganzen würde ihn gerne behalten, weil er schon alt ist und immer mehr sich auf jemand stützen will, den er schon seit langer Zeit kennt. Aber das ist ein offenes Problem für die katholische Kirche.

Quelle: Deutschlandfunk