Ein Kriminalfall im Vatikan: Nicht ausgedacht von einem Buch- oder Filmautoren, sondern sehr real. Vor 40 Jahren verschwand auf mysteriöser Weise die 15-jährige Emanuela Orlandi. Immer wieder wurde versucht, den Fall zu lösen, in dem auch der verstorbene emeritierte Papst Benedikt XVI. eine Rolle spielt. Nun hat die Justiz des Kirchenstaates erstmals offizielle Ermittlungen eingeleitet. Die Strafverfolger wollen dem Verdacht und den Hinweisen nachgehen, wonach Emanuela Orlandi, die Tochter eines Kurien-Angestellten und Staatsbürgerin des Vatikans, entführt oder ermordet worden ist. Die Teenagerin kam am 22. Juni 1983 nach einer Musikstunde in der Altstadt Roms nicht mehr nach Hause. Eine Leiche wurde nie gefunden.
Um Orlandis Verschwinden rankten sich immer neue Spekulationen. Laut einer weit verbreiteten Theorie wurde das Mädchen von einer Bande entführt, die den damaligen Chef der Vatikanbank erpressen wollte. Laut einer anderen unbewiesenen Theorie wurde Emanuela entführt, um Mehmet Ali Agca freizupressen, der 1981 einen Mordanschlag auf Papst Johannes Paul II. verübt hatte. Möglich wäre, dass der römische Mafiaclan Banda della Magliana in den Fall verstrickt ist oder ein Kirchenvertreter das Mädchen missbrauchte und dann ermordete.
Der Vermisstenfall war international durch eine eigene Netflix-Serie („Vatican Girl“) bekannt geworden, die diverse Szenarien und verdächtige Elemente rund um den Fall Orlandi aufgezeigt. Wie italienische Medien berichteten, will der vatikanische Hauptstrafverfolger Alessandro Diddi nun alle Beweise und Dokumente von damals neu prüfen und Zeugen hören, darunter auch Kardinäle. Ende 2015 hatte die Staatsanwaltschaft von Rom den Fall archiviert.
Der renommierte Journalist und Vatikan-Kenner Marco Politi ist sicher: Hinter der Affäre um die geheimen Vatikan-Dokumente steckt ein handfester Machtkampf um politische Entscheidungen im Kirchenstaat. Marco Politi im Gespräch mit Rainer Brandes | 28.09.2012
2019 hatte der Vatikan auf der Suche nach sterblichen Überresten der Verschwundenen zwei Weinkeller geöffnet. Nach Angaben der Ermittler wurden darin aber nur alte Knochen gefunden. Auf dem eigenen Friedhof des Vatikan wurden sogar aufgrund eines anonymen Hinweises zwei Gräber geöffnet – ohne Ergebnis. Sollte dieser Hinweis nur dazu dienen zu sagen, das Emanuela noch lebte?
Auch der verstorbene emeritierte Papst Benedikt XVI. und dessen Privatsekretär Georg Gänswein kommen in dem Fall vor. Pietro Orlandi ist überzeugt, dass Gänswein etwas von einer vatikanischen Akte dazu weiß – das habe der deutsche Erzbischof selbst der Anwältin der Hinterbliebenen gesagt. In einem Buch schreibt Gänswein aber: „Ich habe nie etwas in Bezug zum Fall Orlandi zusammengestellt. Dieses Phantomdossier wurde nicht offengelegt, einfach nur deshalb, weil es nicht existiert.“ Gerüchte, Benedikts Rücktritt habe etwas mit dem "Vatileaks-Skandal" um heimlich kopierte und veröffentlichte vertrauliche Dokumente zu tun gehabt, bestritt der 66-jährige Deutsche.
Der Privatsekretär des Papst Johannes Paul II.
- Kardinal Stanislaw Dziwisz
Fast 40 Jahre diente Stanislaw Dziwisz als Sekretär von Karol Wojtyla. Zuletzt verteidigte der Kardinal den einstigen Papst aus Polen kategorisch gegen Vorwürfe. Anschuldigungen gegen ihn selbst wies der Vatikan zurück.
Als Dziwisz 27 Jahre alt war, machte ihn der Krakauer Erzbischof Karol Wotyla 1966 zu seinem Kaplan und Sekretär. Er blieb es mehr als 38 Jahre lang, auch während des gesamten Pontifikats Johannes Pauls II. Dabei verstand er sich auch als Türöffner für einfache Pilger aus Polen, Deutschland und anderen Ländern, die den Papst treffen wollten. Dziwisz ermöglichte ihnen manchmal unkompliziert die Teilnahme an Frühmessen mit dem Kirchenoberhaupt. Auf Johannes Paul II. ließ Dziwisz nichts kommen. So verteidigte er als Kardinal den einstigen Papst mehrfach leidenschaftlich gegen Vorwürfe der Missbrauchsvertuschung. Man dürfe nicht schweigen oder gleichgültig zusehen, "wie der Prophet unserer Zeit bespuckt wird", protestierte er etwa im März 2023 gegen eine polnische TV-Doku. Es schmerze ihn, dass die Erinnerung an alles, was Polen Johannes Paul II. zu verdanken habe, immer mehr mit Füßen getreten und sein Erbe zerstört werde. [...]
[...] Dziwisz wurde auch selbst beschuldigt, Missbrauchstäter geschützt zu haben. Der heutige Kulturminister Bartlomiej Sienkiewicz bezeichnete den Kardinal 2020 daher als "Betrüger und Menschen mit doppelten Gesicht". [...]
Quelle: U.a. katolisch.de
Es stellt sich die Frage, was wusste Kardinal Stanislaw Dziwisz über die Entführung der 15-jährigen Emanuela Orlandi, was Jahre später der spätere Privatsekretär Georg Gänsewein kategorisch ausgeschlossen hatte?
Mehrere Begleitgeschehnisse um die Entführung von Emanuela Orlandi, die viele Jahre vom Vatikan unter Verschluss gehalten wurden:
- Vertuschung von sexuelle Belästigung durch einen mutmaßlich hohen päpstlichen Repräsentanten des Vatikan (lt. enge Freundin von Emanuela Orlandi).
- Frühe geheimdienstliche Ermittlungen im Fall Orlandi durch den Vatikan.
- Die Zweckentfremdung von gewaschenen Mafiagelder durch die Vatikanbank (Als Förderung der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc durch Papst Johannes der II.).
So könnte es gewesen sein
Die Mafia hat gezielt Emanuela Orlandi für eine Erpressung des Vatikan ausgesucht, um deren gewaschene Gelder, die vom Vatikan bzw. vom damaligen Papst Johannes Paul II. für das "Solidarnosc-Projekt" zweckentfremdet wurden, zurückzuerhalten (War die Mafia bereits über die sexuellen Übergriffe auf Emanuela informiert gewesen?).
Papst Johannes Paul II. hatte es sich zu seiner Zeit zur Hauptaufgabe gemacht, Osteuropa und somit auch Polen wieder zum Katholizismus zurückzuführen. Aus diesem beschloss er die Streikbewegung Solidarnosc über die Vatikanbank zu fördern. Es stellt sich nun die Frage, wusste Johannes Paul II. bereits damals von den Verbindungen des Vatikan zur Mafia? War er darüber involviert gewesen, das der Vatikan Gelder der Mafia gewaschen hatte? Oder spielten sein Privatsekretär Stanislaw Dziwisz und/oder der damalige Erzbischof und Präsident der Vatikanbank, Paul Casimir Marcinkus, ihr eigenes Spiel?
Der Vatikan versuchte ihre Verbindungen zur Mafia zu vertuschen, indem sie die Entführung von Emanuela Orlandi dazu nutzen, um von ihren Geschäften mit der Geheimloge P3 ablenken zu können. Zwei ehm. Mitglieder der Mafia meldeten sich in den folgenden 10 Jahren bei den recherchierenden Journalisten, die mutmaßlich von deren Ermittlungen ablenken sollten. Denn deren Auskünfte ließen den Kriminalfall eher abstrakter erscheinen, als das sie hätten bei der Auflösung helfen können.
Weiterhin lag ein sexueller Missbrauch in der Luft, der ebenfalls nicht an die Öffentlichkeit gelangen durfte! Nicht umsonst haben sich die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. (wie auch der vatikanische Apparat insgesamt) bei dieser Thematik Jahrzehnte lang in Schweigen gehüllt. Insofern wurde (lt. Enthüllungen durch die Netflix-Serie) Emanuela außer Landes verbracht (Nachgewiesen durch die Spesenabrechnungen des Vatikan) und somit vor der Öffentlichkeit verborgen. Dort stirbt sie allerdings Jahre später, wobei Ihre Leiche ebenfalls bis zum heutigen Tag verschwunden bleibt.
Mysteriös erscheint die Verhaltensweise des Vatikan in einem anderen Licht. Wozu diese jahrelange Vertuschung dieser Ereignisse insgesamt? Der Vatikan hätte die veruntreuten Mafiagelder zu einem späteren Zeitpunkt zurückzahlen können. - Ein Problem gelöst. Eine Erpressung Seitens der Mafia hätte im Grunde nachträglich auch keinen Sinn gehabt, denn eine Geldwaschanlage wie den Vatikan lässt man nicht "einfach" über die Klinge springen.
Was die sexuelle Belästigung betrifft, so wäre der Vatikan gut beraten gewesen deren früheren Rechercheergebnisse ihrer Ermittlungsbehörde der betroffenen Familie mitzuteilen. Es hätte einerseits Möglichkeiten gegeben den psychischen Schaden aufgrund einer sexuellen Belästigung von Emanuela über ein sog. Schweigegeld abzumildern. Sofern es nur bei einem Angestellten oder Priester geblieben wäre.
Oder war Kardinal Stanislaw Dziwisz der mysteriöse Sexualtäter von Emanuela gewesen? Ein Kardinal mit direkter Verbindung zum Papst? Dann hätten die Vertuschungsmaßnahmen mehr Engagement bedurft. Wie z.B. ein Exil von Emanuela und/oder deren gesamten Familie. Doch stattdessen wurde Emanuela in eine fragwürdige Entführung hineingezogen, dessen Hintergründe in eine nicht Enden wollende Spirale von Verschleierungen und Leid der betroffenen Familie unnötig in die Länge gezogen wurden. Wer immer der Täter von Emanuela gewesen war, bleibt weiterhin im Nebel der Dunkelheit verborgen. Das Ansehen des Vatikan schien auf lange Sicht erneut Schaden genommen zu haben. Denn nichts ist für die Institution Vatikan schädigender als ein ungelöster Kriminalfall.
Veröffentlichungen die den Vatikan zum wanken gebracht haben
– 25. Januar: Der italienische TV-Sender «La7» zitiert aus Briefen des ehemaligen Generalsekretärs des Governatorats des Vatikanstaats, Erzbischof Carlo Maria Vigano, an Papst Benedikt XVI. Demnach prangerte Vigano im März 2011 Korruption und Vetternwirtschaft im Vatikan an. Verantwortlich für die Sendung «Gli Intoccabili» ist Gianluigi Nuzzi.
– 26. Januar: Vatikansprecher Federico Lombardi nennt die Behauptungen «Desinformationen».
– 4. Februar: Das vatikanische Governatorat legt eine Erklärung nach: Die Korruptionsvorwürfe beruhten auf «falschen Einschätzungen und unbegründeten Ängsten». Die Bilanzen würden von der vatikanischen Finanzaufsicht geprüft.
– 10. Februar: Die Zeitung «Il Fatto Quotidiano» veröffentlicht ein anonymes, auf Deutsch verfasstes Dossier, laut dem Palermos Kardinal Paolo Romeo von einem Komplott gegen den Papst berichtet haben soll. Das Dokument soll über Kardinal Dario Castrillon Hoyos ins Staatssekretariat gelangt sein. Vatikansprecher Lombardi spricht von einem «reinen Phantasieprodukt».
– 13. Februar: Lombardi kreiert mit Blick auf die Internetplattform Wikileaks analog den Begriff «Vatileaks».
– 17. März: Der Vatikan gibt bekannt, seinen Staatsanwalt Nicola Picardi mit Ermittlungen zu den durchgesickerten Informationen beauftragt zu haben.
– 25. April: Benedikt XVI. richtet eine Aufklärungskommission aus drei pensionierten Kardinälen ein. Der frühere vatikanische Justizminister Julian Herranz (82) sowie Jozef Tomko (88) und Salvatore Giorgi (81) sollen die Drahtzieher ermitteln.
– 17. Mai: Die Zeitung «Libero» veröffentlicht vorab Auszüge aus Nuzzis Enthüllungsbuch «Sua Santita» (Seine Heiligkeit) mit einer Reihe von Geheimdokumenten aus dem Päpstlichen Palast. Das Buch erscheint zwei Tage darauf und findet breite Resonanz.
– 19. Mai: Der Vatikan kündigt ein gerichtliches Vorgehen gegen die Informanten an. Die Publikation sei eine «objektiv verleumderische journalistische Initiative».
– 25. Mai: Es wird bekannt, dass Kammerdiener Paolo Gabriele als Verdächtiger im Fall «Vatileaks» zwei Tage zuvor festgenommen wurde.
– 3. Juni: Die Zeitung «La Repubblica» zeigt drei weitere Dokumente: zwei Briefe von Gänswein und ein Schreiben von Kurienkardinal Raymond Leo Burke. Der Inhalt der Gänswein-Briefe ist unkenntlich gemacht, die Zeitung kündigt aber an, ihn gegebenenfalls zu veröffentlichen. Der Kammerdiener sei möglicherweise nur «ein kleiner Fisch», heisst es.
– 5. Juni: Gabriele wird vom vatikanischen Untersuchungsrichter Piero Antonio Bonnet verhört. Lombardi dementiert, dass es ein Amtshilfeersuchen an Italien gebe.
– 3. Juni: Die Zeitung «La Repubblica» berichtet, ein anonymer Informant habe ihr drei neue Schreiben aus dem Vatikan zugespielt.
– 5. Juni: Gabriele wird im Vatikan erstmals vernommen.
– 21. Juli: Der Kammerdiener kann seine Zelle verlassen und steht fortan unter Hausarrest, wie der Vatikan mitteilt. Kurz darauf bittet er den Papst nach Medienberichten in einem Brief um Verzeihung. Er habe keine Komplizen gehabt.
– 13. August: Der Vatikan teilt mit, gegen Gabriele und einen weiteren Angestellten den Prozess zu eröffnen. Er veröffentlicht den Untersuchungsbericht und die Anklageschrift gegen die beiden Männer. Psychiatrischen Gutachten zufolge hat Gabriele seelische Probleme.
– 29. September: Der Prozess gegen Gabriele und den Informatiker Sciarpelletti beginnt im Vatikan. Das Gericht ist mit weltlichen Richtern besetzt, hochrangigen italienischen Juristen.
– 2. Oktober: Gabriele berichtet vor Gericht, wie er aus Unbehagen über Entwicklungen im Vatikan Kopien von Dokumenten gefertigt und weitergegeben hat. Er fühle sich schuldig, das Vertrauen des Papstes missbraucht zu haben. Den Anklagevorwurf des schweren Diebstahls weist er zurück. Der päpstliche Privatsekretär Georg Gänswein sagt aus, er habe bis kurz vor der Festnahme Gabrieles keinen Verdacht gehegt.
– 3. Oktober: Als letzte Zeugen werden vier Gendarmen befragt. Sie berichten von kistenweise Papier, das sie in Gabrieles Wohnung sicherstellten. Davon hätten 1.000 Dokumente in Zusammenhang mit der Enthüllungsaffäre gestanden.
-6. Oktober: Das vatikanische Gericht verurteilt Gabriele zu anderthalb Jahren Haft und zur Übernahme der Prozesskosten. Mit seinem Urteil blieb der Vorsitzende Richter Giuseppe Dalla Torre unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die drei Jahre wegen schweren Diebstahls gefordert hatte.
– 10. November: Das Vatikangericht verurteilt den Informatiker Claudio Sciarpelletti zu zwei Monaten Haft auf Bewährung.
– 16. November: Sciarpelletti geht in die Berufung, zieht seinen Einspruch aber bereits am 27. November zurück.
– 1. Dezember: Das Vatikangericht veröffentlich das Urteil mit Begründung gegen Sciarpelletti. Damit ist der laufende «Vatileaks»-Prozess abgeschlossen. Allerdings ist der Fall nicht ad acta gelegt, das Untersuchungsverfahren bleibe weiterhin offen, erklärt Vatikansprecher Federico Lombardi.
– 22. Dezember: Papst Benedikt XVI. besucht seinen ehemaligen Kammerdiener in der Haftzelle und teilt ihm persönlich dessen Begnadigung mit. Gabriele ist wieder auf freiem Fuss.